Teil 4
...und weiter geht´s im hohen Norden
Mittwoch, der 22. Mai 2024
Wie nicht anders zu erwarten, konnten wir in dieser Abgeschiedenheit wunderbar schlafen. Kein Regen, kein Wind, heute mal keine pralle Sonne.
In aller Ruhe gehts weiter. Die Rentierdichte nimmt auffällig zu.
Das bedeutet, wir sollten etwas mehr Fernsicht walten lassen, denn die Tierchen haben in der Schule keinen Verkehrsunterricht gehabt. Und teilweise sind die so niedlich, dass wir keins von ihnen überfahren wollen.
Die einheimischen Profifahrer sehen das etwas anders. Sie fahren Trucks, die selten unter 500PS unter dem Fahrerhaus haben. Die Größe und Länge der Roadtrains, man kann sie sicher in Finnland schon so nennen, ist für den, der deutsche LKWs gewohnt ist, schon ein Wauhhh-Effekt. Man befördert Lasten, die dem Ganzen einen Bremsweg, ähnlich einem Güterzug verschaffen. Ein solches Gefährt auf Nenngeschwindigkeit 80 km/h zu bringen, ist selbst mit 500 PS keine Sache von 10 Sekunden. Das heißt, wenn die Jungs einmal im Rollen sind, hält sie (fast) nichts auf. Weder Rentier noch ein Elch und schon gar nicht der Seitenspiegel eines Hobby-Wohnmobilfahrers, der seine genaue Breite nicht einschätzen kann. Dann krachts einfach. Dazu hat man vorne einen mörderischen, sogenannten Elchfänger dran, der selbst dieses majestätische Tier in Fall X zu Mus verwandeln kann. Bei uns sind Elchfänger eigentlich meines Wissens schon einige Zeit verboten. Es sei denn, man bezeichnet das Ding als "Personenschutzbügel". Das hört sich menschlicher an und wird auch in Deutschland und von TÜV und Dekra geduldet. Unser Trollexpress hat genau so einen "Personenschutzbügel", hübsch schwarz lackiert, was den Bezug zum Friedhof ein wenig deutlich macht. Zudem hat unter Fahrzeug auch ein etwas Respekt einflößenderes Auftreten als die kleineren Ausführungen mit denen andere Camperkollegen in der Regel unterwegs sind.
Beim Passieren der dicken Kollegen gilt trotzdem: Hände fest ans Lenkrad.
Blick konsequent voraus und mit 10-20 cm Abstand von Spiegel zu Spiegel sicher auf der Piste zu bleiben, denn....rechts gehts in den Straßengraben.
Zum besseren Verständnis: Die Geschwindigkeitsdifferenz bei derartigen Begegnungen beträgt zwischen 140 und 170 km/h.
Bei Fehleinschätzung verschafft auch kein "Personenschutzbügel" eine Linderung.
Wie auch sonst im Straßenverkehr bringt Nervosität hier keinen Sicherheitsgewinn.
Irgendwann sitzt du genau so entspannt hinter der Kurbel, wie deine finnischen Kollegen. Wenn du oft genug geübt hast, fällt sogar noch ein cooles "Grüß Dich" durch Heben der Hand ab. In Skandinavien fährt man, nationaltreu, meist Volvo oder Scania. Da ist ein Mercedes schon fast ein Exot. So ist es uns etliche mal passiert, dass uns Mercedes-LKW-Fahrer respektvoll und mit frohem Lächeln gegrüßt haben.
Ob das an der Fahrzeugmarke oder am Alter unseres Fahrzeuges lag, konnten wir leider nicht herauskriegen. Grüßende Volvo- oder Scania Fahrer haben wir tatsächlich nicht erlebt. Als Fazit am Ende der Reise kann ich nicht ohne etwas Stolz sagen, dass es mir trotz oft sehr kniffliger Begegnungen nur einmal, während der 9.002 km passiert ist, dass ich über den Seitenstreifen gebrettert bin.
In jedem Fall eine Schrecksekunde für alle Beteiligten, vor allem aber für den Beifahrer, der ja in dieser Sekunde noch nicht weiß, ob der Schlenker wieder auf der Straße oder im Grünen endet. Von anderen Möglichkeiten wollen wir hier mal nicht sprechen. Naja, Fahrspaß beiseite! Vorsicht ist auch hier die Mutter der Porzellankiste.
Wir fuhren jedenfalls so, dass uns kein Rentier unter die Räder oder vor den Bügel kam. Sicher wussten die aus dem Rentierfernsehen auch, dass da Kanne, Conny und Odin unterwegs waren und die Drei keine besonderen Vorkommnisse der gruseligen Art brauchen können.
Nach unserer Rentierbegegnung passieren wir einen See, welcher noch fast komplett zugefroren ist. Jetzt, Ende Mai.
Kurz vor Mittag passierten wir sie dann; die Grenze zum Land der Samen. Ein hübsches buntes Fähnchen am Straßenrand zeugte davon.
(Der Spruch: "Same sucht Samin zum Einsamen." stammt im Übrigen nicht von hier!)
Nach wenigen Kilometern bekamen wir auch gleich eine Portion samische Kultur gereicht. Im Dörfchen Vuotso, dem südlichsten samischen Dorf Finnlands, fanden wir eine Art von Museum mit angeschlossenen samischen "Volkskunstvertrieb".
Eine beeindruckende Sammlung, teilweise durchaus noch fahrtüchtiger Fahrräder war der Blickfang. Eine etwas schamanisch anmutende Souvenirhütte war die Beigabe.
Conny wollte nicht mit rein. Sie hatte Angst verzaubert zu werden, um womöglich als Frosch verwandelt, die Weiterreise antreten zu müssen. Ich ging mit einiger Vorsicht hinein und fand eine recht freundliche, ich glaube man sagt, Samin vor, die die meisten Dinge, die sie da feilbot, selbst gebastelt hatte. Endlich mal keine Chinaware.
Leider aber fast alles Dinge....die die Welt leider nicht braucht.
Zur gleichen Zeit besuchte auch ein älteres finnische Ehepaar den Laden und ich konnte beruhigt feststellen, dass diese, nachdem wir uns gebrochen englisch unterhalten hatten, das Geschäft, obwohl sie nichts gekauft hatten, völlig unverwandelt wieder verlassen durften.
Conny hätte also ruhig mitgekonnt. Da ich mich am Ende aber doch sicherer fühlte, wenn ich was kaufe, so kaufte ich etwas. Außerdem konnte ich noch nie Kundschaft leiden, die uns nur den Teppich dreckig latscht und dummes Zeug quatscht, ohne etwas zu kaufen.
Zum einen ließ ich für Cornelia ein Zertifikat erstellen, zum Beweis, dass sie hier im Land im Samen war. So eine Art samischer Personalausweis in A4-Größe und aus Pappe. Gestaltet und gezeichnet von Arja Kustul, der Inhaberin des mystischen Ladens.
Als Zweites erwarb ich eine echte Krähenkralle als Talisman und Glücksbringer mit Zwischenöse und Karabiner zum Aufhängen für den Trollexpress und mein hoffentlich sorgenfreies Rentnerleben. Zunächst hatte ich Bedenken, dass die Krähe wegen mir ihr Leben lassen musste. Dann habe es mir aber selbst schöngeredet. Das arme Tier war sicher im letzten Winter tiefgefroren vom Baum gefallen und wäre sowieso weggeschmissen worden. Krähen schmecken als Frikassee nämlich furchtbar.
So dienen wenigstens ihre Gebeine doch noch zu etwas Gutem, nämlich dass sich ein doofer Deutscher denkt, sie brächten ihm Glück.
Und 5,00€ sind ja nun wirklich nicht zu viel für einen Glücksbringer,
wenn er denn funktioniert.
So zog ich nach einiger Zeit glücklich von dannen. Vielleicht hatte sie mich doch ein bisschen verzaubert, denn an diesem Nachmittag ist mir nicht eine einzige Kokosnuss auf den Kopf gefallen und ich habe auch keine schwarze Katze mehr gesehen. Außer Odin, der zwar schwarz, aber eben keine Katze ist. Außerdem rief sie mir die freundlichen Worte nach: Hyvää matkaa, was so viel heißt wie "Gute Reise".
Sagt selber; wenn sie uns hätte braten wollen, hätte sie uns doch nicht "Gute Reise" gewünscht.
Was mich jedoch beim Verlassen ihres Grundstückes etwas stutzig machte; sie hatte ein Bild von mir im Garten hängen.
Zum Glück bemerkte ich noch rechtzeitig, dass es ein Spiegel war.
Conny begrüßte mich beim Wiedereintreffen am Fahrzeug deutlich herzlicher als sonst. Ich nehme an, sie hat zeitweise nicht damit gerechnet, dass sie mich so schnell und unversehrt wiedersieht.
Die Fahrt ging also weiter. Nachdem der Krähenfuß aufgehängt war, hatte ich das Gefühl, dass der Motor des Trollexpress deutlich ruhiger lief und der Verbrauch um 2 Liter runter gegangen war. So hätten sich die 5,00€ ja schon nach kurzer Strecke amortisiert. (Spätere Nachberechnungen bestätigten mein Gefühl jedoch nicht.)
Tankavaara-Gold Village
Ein Museumsbergwerk mit echter Goldgräberstimmung
Auf Empfehlung unseres Freundes und Skandinavien-Profis Uwe, fanden wir auf dem Weg zum Inarisee ein ehemaliges Bergwerk. Auch aus unserer eigenen Geschichte heraus, in der wir viele Jahre mit dem Verkauf von Schmuck aus Gold und Silber zu tun hatten, durften wir hier nicht vorbeifahren.
Der erste Eindruck:
Alaska Feeling. Sind wir am Klondike?
Nein, immer noch Finnland. Aber cool.
Wie im wilden Westen! Leider?
Ja leider noch alles unter dicken Schneeresten.
Trotzdem geöffnet. Scheinbar für uns allein.
So sind sie eben, die Finnen.
Das Museum? Ebenfalls geöffnet.
Wir gehen rein und staunen, was da alles zur Geschichte des Bergbaues in der ganzen Welt zusammengetragen wurde.
Der Gesamteindruck: Sehr empfehlenswert.
Danke Uwe für den Tipp.
Und der geschnitzte Bär am Eingang...da sind wir beide ja sowieso seelenverwand.
Einerseits angsteinflößend und trotzdem gutmütig,
wie er eben ist, der Bär.
Und selbstverständlich auch noch ein paar Kumpels für Hundefreundin Conny.
Die Straße ruft und wir folgen
Auf dem Weg zum legendären Inarisee.
Nicht nur die Straße, auch der Inarisee ruft.
Wir haben viel davon gehört, vieles auf YouTube im Vorfeld gesehen.
Wir sind gespannt, was uns hier und jetzt erwartet.
Hier sind wir schließlich im ganz hohen Norden.
Dem Inarisee, einem der, von uns selbst gewählten, mystischen Zwischenzielen.
Nicht viele Menschen "aus dem Süden" haben diesen Ort auf Ihrer Tourenliste.
Selbst auf dem gebuchten Landgang von einem der modernen Kreuzfahrtschiffe wird man kaum hier landen.
Dieses Ziel über ein Reisebüro von zu Hause aus zu buchen, wird sicher auf recht erstaunte Blicke treffen.
Auch Kälberfelder triffst du hier nicht.
Zu den hier lebenden Lappen sagt man heute die Sami.
Lappland darf man aber wiederum noch sagen.
Nicht ganz einfach auf dem Eis der Begriffe die richtige Formulierung zu treffen.
Sehr, sehr wenige Menschen leben hier auf den Quadratkilometer in meist doch noch unberührte Natur.
Winter von September bis Mai, das sind 9 Monate.
Einen Monat Frühling und einen Monat Herbst.
Bleibt eigentlich nur noch der Juli für den Sommer.
Naja, ganz so schlimm ist es auch wieder nicht.
Lassen wir den Frühling mal Ende Mai beginnen und reden wir vom Herbst erst im Oktober.
Dann haben wir luxuriöse 4 Monate ohne Eis und Schnee.
Hier zu leben, muss man wollen und vor allem aushalten können.
Umso intensiver sicher die kurze Zeit zwischen Schnee und Schnee, wie es eigentlich in ganz Skandinavien gelebt wird.
Wir fahren noch vor Erreichen des eigentlichen Seengebietes durch den Ort Ivalo.
Hier leben ganze 3.700 Einwohner und hier befindet sich das Verwaltungszentrum der Gemeinde Inari mit seinen insgesamt rund 7.000 Einwohnern.
Die Europastraße 75 führt uns zum Westufer des Sees.
Nach wenigen Kilometern erreichen wir im Südwesten des Sees Inari selbst,
vom Gefühl her, den wohl eigentlichen Hauptort der Gegend.
Bis auf einen kurzen Besuch im Supermarkt des Ortes, finden wir in Inari leider nicht viel Erlebenswertes.
Alles noch geschlossen- Vorsaison eben. Ende Mai. Saisonbeginn vermutlich frühestens Juni.
Der See selbst ist noch fast komplett zugefroren.
Wasserski wäre nur auf eine sehr wörtliche zu nehmende Art und Weise möglich.
Im Nachhinein erfahren wir, dass sich ein Abstecher in das Museum von Inari, das sich der Geschichte und der Tradition der Samen verschrieben hat, durchaus gelohnt hätte.
Leider haben wir von der Existenz des Museums erst zu spät erfahren und es sozusagen....übersehen.
Es folgt unsere Suche, irgendwo ganz nah an den See heranzukommen.
Eine schwierige Geschichte.
Weder auf einer regulären Straße, noch Offroad, was wir dank unseres Allradmobiles könnten, finden wir einen direkten Weg zum Gewässer. Erst als die nordöstlich führende Straße 971 fast schonwieder das direkte Seengebiet verlassen will, finden wir ein tolles Plätzchen mit direkter Sicht auf den See.
Zwar kein offizieller Platz zum Campen, aber wir ahnen, dass man uns wohl sicher eine Nacht dulden wird.
Wir erleben den See Ende Mai noch fast komplett zugefroren.
Der blauem Himmel und Sonne tauchen das Ganze in ein besonderes Licht.
Genau die richtige Zeit, um hier zu sein.
Nichts für Warmduscher, aber für Leute, die die Natur lieben und die Einsamkeit.
Unser Odin gehört zu diesen Menschen, ups Hunden, was dieses Bild wieder einmal klar dokumentiert.
Ich erlebe oft Menschen, die selbst in den faszinierendsten Momenten nicht in der Lage sind, mal ein paar Sekunden oder gar Minuten innezuhalten, zuzuhören, hinzusehen oder einfach nur zu genießen.
Odin, obwohl er "nur" Hund ist, kann und tut das.
Er weiß nicht, dass das hier der Inarisee ist.
Aber er scheint zu spüren, dass er hier mit uns an einem ganz besonderen Ort ist.
Wir können von ihm lernen.
Aber nicht nur für Odin ist hier der Hauch des Nordens spürbar.
Auch die anderen nimmt die Atmosphäre in ihren Bann.
Der Inarijärvi oder eingedeutscht, der Inarisee
ist der drittgrößte See Finnlands.
Jemand hat sich viel Mühe macht, und im Inarisee über 3.000 große und kleine Inseln und Inselchen gezählt. Der See umfasst eine Fläche von 1040,28 km².
Umgeben ist er von einer der letzten Wildnis Europas.
Im Winter ist die Wahrscheinlichkeit hier Polarlichter zu beobachten, außergewöhnlich hoch, da es weitab jeglicher Zivilisation hier so gut wie keinen Lichtsmog gibt.
Hart gesagt, in den Wintermonaten ist es hier dunkel wie im Bärenarsch.
Der See selbst hat eine Tiefe von bis zu 90 Metern und ist oft bis in den Juni hinein zugefroren.
Trotz der nördlichen Lage in Lappland ist das außergewöhnlich.
Aufgrund der zahlreichen Inseln ähnelt der Inarijärvi See einer Aneinanderreihung von kleinen Strömen und Flüssen. Was uns auffällt: Der Wasserstand scheint, trotz der schon stattfindenden Schneeschmelze, gut einen Meter niedriger zu sein, als es die Vegetation am Ufer vermuten ließe.
Neben dem Inarisee sollte man den größten Finnlands, den Saimaa, kennen.
Auch er ist ein verzweigtes Labyrinth aus kleinen und großen Gewässern und Tausenden von Inseln.
Mit unglaublichen 14.500 km hat er den längsten Uferstreifen aller der Seen der ganzen Welt.
Er ist ca. 4x so groß wie der Inarisee und erstreckt sich über eine Fläche von 4370 km².
Hier spricht man gegenüber den 3.000 Inseln des Inarisees sogar von 13.710 Inseln, von denen viele auf der Landkarte zwar nur einen Punkt darstellen, in der Summe aber eine beachtliche Gesamtfläche von 1.850 km² haben.
Auf Platz zwei in Punkto Größe, ist der Päijänne See gleichzeitig der längste und tiefste See Finnlands.
Diese drei sind die Seen der Seen des Landes der tausend Seen.
In Finnland gibt es alles in allem mehr als 180.000 einzelnen Seen, wer immer das gezählt haben möge.
Der Inari strahlt, trotzdem wir ihn nur an wenigen Stellen so direkt im Blick habe dürften, ein besonderes Flair aus.
Hier oben, weit oberhalb des Polarkreises, sind wir vorwiegend alleine.
Alleine in der Natur. Alleine auf den Straßen.
Und um das Wort "alleine" noch ein viertes Mal zu beanspruchen:
Alleine das ist schon Privileg genug, hier sein zu können.
Donnerstag, der 23. Mai 2024
Auf dem Weg nach Kirkenes
Und wieder eine sehr helle Nacht im Trollexpress.
Hier oben verschwindet die Sonne nur mal kurz, wenn überhaupt, hinter den Horizont.
Ein ganz bequemes Nachtlager in der komfortablen Größe von 2m x 2,30m.
Außer ein paar Möven, kein Laut.
Wie könnte man hier nicht gut schlafen?
Trotzdem zieht es uns am darauffolgenden Tag weiter.
Und wenn wir schonmal hier im Norden sind....
Irgendwie macht uns die Entfernung zum Ausgangspunkt der Reise jeden Tag nachdenklich. Alleine die Tatsache, dass wir fast 4 Wochen gebraucht haben, um Stepp for Stepp hier oben anzukommen. Die Kosten, die damit für den Treibstoff Diesel angefallen sind, sagen wir mal, nicht unbedeutend.
Da wir weder im Lotto gewonnen haben noch einen Dieselsponsor im Boot haben, fragen wir uns schon, ob uns in den kommenden Jahren eine vergleichbare Reise nochmal vergönnt sein wird.
Wir hoffen- ja. Das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen.
Und immer noch hat unsere Reise nicht den Charakter, dass der Weg das Ziel ist.
Immer noch haben wir zu oft das Gefühl, getrieben zu sein, weiter zu müssen.
Uns fehlt nach wie vor das Leck-mich-am-A...-Gen.
Schön ist, dass wir den nördlichsten Punkt noch nicht erreicht haben.
Somit fühlt es sich immer noch wie eine "Anreise" und nicht schon wie eine "Rückreise" an.
Unter diesem Motto: "Und wenn wir schonmal hier sind."
haben wir es uns in den Fahrplan geschrieben, in Kirkenes, dem Wendepunkt der legendären Hurtigruten Station zu machen.
Schön, dass Conny das genauso sieht.
Sicher wird uns dort nicht die Partyhochburg des Nordens erwarten, aber irgendetwas interessantes wird da schon auf uns warten.
Die Stadt liegt im äußersten Nordosten Norwegens, am Bøkfjord.
Das ist ein Arm des Varangerfjords, unweit der russischen Grenze.
Kirkenes liegt etwa 400 Kilometer nördlich des Polarkreises.
Die Meisten der rund 7.000 Einwohner sind Norweger oder Menschen norwegischen Ursprungs. Es gibt jedoch auch einen Teil Samen.
Einige Einwohner stammen ursprünglich aus dem nicht weit entfernten Finnland.
Etwa 500 Menschen sind kürzlich jedoch auch aus Russland eingewandert.
Genau dorthin wollen wir. Um es nicht zu vergessen, wir sind ja noch in Finnland. Temperaturen um die 21 Grad. Auf unserer Tour begegnen wir immer wieder beindruckenden Landschaften.
Kleine Trupps von Rentierherden ziehen durch abgelegene Orte, ohne sich dabei aus der Ruhe bringen zu lassen.
Irgendwo muss jetzt die Grenze zu Norwegen kommen.
Angeblich wird dort hart nach Alkohol kontrolliert, der nur beschränkt eingeführt werden darf. Ein Bisschen gespannt sind wir doch, denn wir haben schon einen gewissen Vorrat mit an Bord, der vielleicht die Grenzen des Erlaubten leicht tuschiert.
Schließlich ist der schönste Sonnenuntergang ohne einen geeigneten Sundowner nur halb so schön. Und irgendwann passieren wir sie, die finnisch-norwegische Grenze.
Weit und breit kein Zollbeamter zu sehen.
Klar es ist Donnerstag nach 14.00 Uhr. Feierabend!
Das freut uns für die Freunde vom Zoll und für uns selbst natürlich noch mehr.
unsere Sundowner sind gerettet.
Da sind wir jetzt nun in Norwegen.
So weit im Norden haben wir diese Grenze noch nie passiert. Und als ob jemand den norwegischen Schalter umgelegt hat, wechselt die Landschaft mit dem Schlagbaum von finnisch rar auf norwegisch monumental.
Zwischendurch zur Abwechslung mal wieder eine Wettermeldung:
Wie soeben schon erwähnt, um die 20 Grad und...blauer Himmel.
Für Kirkenes haben wir uns keinen spektakulären Campingplatz ausgesucht, sondern, um möglichst ein Hurtigruten-Schiff zu erwischen, stehen wir am Hafen in Sichtweite auf das Terminal der Hurtigruten. Der Weg in die Stadt selbst ist nicht weit.
Fußläufig in 20 Minuten zu erreichen. Uns so machen wir uns auf.
Vorbei an einem Schild, welches eigentlich nur ein deutscher Tourist aufgestellt haben kann.
Unter anderem erzählt es uns, dass Berlin 3881km von hier entfernt ist. Messerscharf geschlussfolgert, wäre Kälberfeld somit rund 400 km weiter, also rund 4200 km entfernt. Laut Google Maps, incl. aller Kurven sind es aber nur 2924 Kilometer. Wie kommt das? Ich denke, nicht nur im Internet wird oft irgendwelcher Nonsens geschrieben. Auf solchen Entfernungstafeln stimmt aber auch nicht immer alles.
In der Innenstadt angekommen bestätigt sich; eine Partymeile erwartet uns tatsächlich nicht.
Vielmehr sehen wir eine gegen 16.00 Uhr völlig ausgestorbene Stadt.
Fast hätten nur noch die, aus den alten Wild-West-Filmen bekannten Gestrüppkugeln gefehlt, die der Wind durch die Straßen vor sich her pustet und die das Flair einer Geisterstadt wäre perfekt gewesen.
Das ist nun also Kirkenes.
Was möge hier erst in den dunklen Monaten des Jahres abgehen, wenn Ende Mai hier schon der besagte Hund begraben ist. Vielleicht ist es die Nähe zu Russland, vielleicht ist aber auch noch keine Saison für Touristen.
Wir haben es leider nicht herausgefunden.
Etwas ernüchtert trotten wir zurück zu unserem Stellplatz am Hafen.
Eigentlich können wir jetzt nur noch schlafen.
Mal sehen, was uns morgen erwartet.
Freitag, der 24. Mai 2024
Gleich während des Frühstückes google ich, dass in Kürze die Havila Polaris anlegen wird.
Nach meiner nachträglichen Recherche ist sie keines der traditionellen Hurtirutenschiffe.
Lediglich die Reiseroute von Bergen nach Kirkenes ähnelt der Strecke, die seine bekannten Brüder zurücklegen.
Das Unternehmen Havila Voyages ist ein vom Norweger Per Sævik, gegründet worden. Alles begann im Jahr 1957, 2 Jahre vor meiner Geburt, als Per im Alter von 16 Jahren sein erstes Fischerboot kaufte.
Bezahlt hat er es mit dem Geld, das er seit seinem 12. Lebensjahr jeden zweiten Tag mit der Arbeit auf einem anderen Fischerboot verdient hatte. Die Jahre vergingen und Schritt für Schritt gelang es Per, ein Imperium von Schifffahrtsunternehmen aufzubauen. Heute ist die Havila-Gruppe in den Bereichen Schifffahrtstechnologie, Offshore, Transport und Tourismus tätig. Havila Voyages ist die jüngste Tochtergesellschaft. Der Hauptsitz befindet sich in Per Sæviks Heimatgemeinde, in der kleinen Küstenstadt Fosnavåg an der Westküste Norwegens. Per Sæviks ist inzwischen 80 Jahre alt.
Das erste Schiff von Havila Voyages, Havila Capella, deren Jungfernfahrt im Dezember 2021 stattfand, wurde auf der Nor-Shipping 2022 zum Gewinner des Next Generation Ship Award gekürt. Die vier neuen Schiffe Havila Capella, Havilla Casto, Havila Pollux und nicht zuletzt die Havila Polaris sind mit dem weltweit größten Batteriepaketen ausgestattet, das jemals auf einem Passagierschiff installiert wurde. Das bedeutet, dass sie vier Stunden am Stück emissionsfrei durch gefährdete Fjorde wie den zum Weltkulturerbe gehörenden Geirangerfjord fahren können.
Das alles wussten wir noch nicht, als wir die Havila Polaris in Kirkenes neben dem Trollexpress fotografiert haben. Im Nachhinein beeindruckt es uns sehr. Es stellt einmal mehr die norwegische Mentalität in den Fokus. Nicht nur reden, einfach machen und somit Vorreiter des Klimaschutzes zu sein.
Die Polaris läuft aus. Nicht ohne zuvor das imposante Schiffshorn mehrmals über Kirkenes erschallen zu lassen.
(Eine etwas kleinere Ausgabe davon hat mir mein Freund Uwe geschenkt.
Ein Zughorn mit ich-weiß-nicht-wieviel-Dezibel.
Ich habe es zu Hause in der Garage liegen und werde es irgendwann in den Troll einbauen.)
Jetzt geht es für die Polaris, nachdem sie einem weiten Bogen um das Nordkap gemacht hat, wieder Südwärts.
Für uns geht es aber immer noch in die Gegenrichtung.
Wer vermutet hier oben schon hohe Berge, aber es gibt sie.
Ganz nebenbei passieren wir ein Abschleppunternehmen.
Erinnerungen werden wach. Im Februar hingen wir am Haken vom Wohner Abschleppdienst.
Unser Gelber Engel Michael pflückte den Trollexpress damals wegen Dieselpest von der Autobahn bei Erfurt. Sein Chef Christian wohlwollend im Hintergrund. Gut, dass man gute Bekannte hat.
Ein kurzes Stoßgebet gen Himmel: Hoffentlich brauchen wir die Jungs hier oben nicht.
Immer der E6 entlang, überqueren wir die Kaldoaivi Wilderness Area.
Dem Namen der Region gerecht werdend, begrüßen uns die wildesten Wetterkapriolen der Reise. Temperaturen um die 2 Grad und Schneeregen, der nicht senkrecht von oben, sondern nahezu waagerecht ober das Fjell peitscht.
Das Hochfjell selbst zeigt sich uns rechts und links der Straße mit dicken Schneefeldern und Anstiegen, die den Troll gnadenlos in der Berggang zwingen.
Der Fünfte endet da bei 50 km/h.
Er schnaubt und ächzt, aber er geht, ohne zu murren die Anstiege empor.
Den durchschnittlichen Dieselverbrauch bei dieser Belastung berechne ich später mit etwa 30 Liter pro 100 km. Das ist Rekord auf unserer Reise.
Die Sonne lugt nur selten durch eine paar Wolkenlöcher.
Genauso spektakulär ist die Abfahrt vom Fjell herab.
Ein Retarder Bremssystem war 1992, dem Geburtsjahr des Trolls, noch etwas ganz Besonderes.
Damals, wie heute wird Bremsenergie beim 1222 AF noch traditionell in Wärme umgewandelt und lediglich über die Bremstrommeln und die Felgen an die Umwelt abgeleitet.
Vorsicht also! Motorbremse und ein niedriger Gang verhindern, dass die Bremsen überhitzen und sich die Bremsbeläge in Wohlgefallen auflösen.
Am Ende landeten wir zwar kaum bei besserem Wetter, aber doch auf einem Campingplatz, der sich im Nachhinein zum gruseligsten der Reise entpuppte. Von außen Anfangs nicht gleich zu sehen, kriegten wir am kommenden Tag mit, dass überall Müll und halb zerfallene Hütten das Areal beherrschten. Die sanitären Anlagen aber wie überall- tipp-top.
Kein Interhotelniveau aber sauber und in Ordnung.
Naja, es war ja nur zum Übernachten.
Was jedoch hervor stach, war die Unmenge an Elchkacke, die die Umgebung und den Platz selbst "zierten".
Leider war uns der direkte Blick auf solch einen Freund nicht vergönnt.
Samstag, der 25. Mai 2024
Unsere Weiterfahrt führte uns durch die immer noch komplett blattlose Tundra der norwegischen Finnmark.
Wohlbemerkt wir haben Ende Mai!
Nicht einmal die Birken zeigten Grün.
Entlang des Porsanger Fjordes erleben wir unbeschreibliche Panoramen zwischen Himmel und Meer. Kaum eine Menschenseele verirrt sich hierher. Trotzdem, immer mal wieder ein Haus von Menschen, die tatsächlich hier oben leben. Uns stellt sich die Frage, was das für Menschen sind und wie verdienen sie Ihren Lebensunterhalt.
Die Antwort darauf erhalten wir leider nicht.
Eine der wenigen Siedlungen hier ganz oben ist Lakselv. Vielleicht verbirgt dieser Name das Geheimnis, von was man hier leben könnte.
In Lakselv gibt es eine Volvo Werkstatt, vor der wir ein sehr spektakuläres Fahrzeug ausmachen. Ein Scania LS11038 SHRE, ungefähres Baujahr 1973 mit Badezuber auf dem Zugfahrzeug mit echter Holzbefeuerung.
Eine tolle Vorstellung bei minus 30 Grad und einem Himmel voller Polarlichtern im 45 Grad warmen Wasser zu sitzen um die Welt zu genießen.
Im fetten Fifth-Wheel Auflieger muss Platz ohne Ende sein, was schon von außen zu sehen ist. Leider ist keiner da, wen wir mal wegen einer kleinen Roomtour fragen können. So geht es leider ohne genauere Einblicke weiter. Als Trophäe bleibt uns lediglich das Bild des cirka 50 Jahre jungen Oldtimers, dessen Zustand von außen einem Neufahrzeug gleicht.
Hinter Lakselv geht es auf der E6 weiter am wunderschönen Porsangerfjord entlang durch fast unbewohntes Gebiet.
Den Trollexpress parken wir unweit des Fjordes. Ein Himmel wie aus dem Bilderbuch. Als ob Caspar David Friedrich einen seiner kreativen Tage gehabt hat. Wir entscheiden uns für eine Mittagspause. Der Traumblick aus unserem "Wohnzimmerfenster" heraus weckt den Wunsch hier länger zu verbringen.
Länger, das heißt so gegen 15.00 Uhr gehts weiter. Am Ende der Reise werden wir feststellen, dass es genau diese Stellen gewesen sein werden, die den Ausdruck "länger" eben wirklich durch etwas längeres Verweilen verdient hätten.
Aber das müssen wir noch lernen.
Weiter entlang des Fjordes lassen sich hier kaum noch andere Wohnmobile und Touristenautos treffen. Trotzdem donnern ungewöhnlich häufig die fetten Volvo- und Scaniazüge mit Schotter beladen an uns vorbei. Schließlich biegen wir bei Olderfjord nach rechts von der E6 auf die E69. Erst hier treffen wir wieder auf die Haupttouristenroute, die sich meist aus Richtung Alta auf den Weg zum Nordkap machen. Umso interessanter für uns die Entfernungsangabe 140 km bis dahin mal in südlicher Richtung zu lesen. Gleichzeitig erfahren wir, dass es eigentlich nur noch 112 km bis nördlichen Wendepunkt unserer Reise sind.
Das macht nachdenklich. Eigentlich dominiert Vorfreude auf diesen Punkt unserer langen Tour. Andererseits ist das Nordkap ein, wenn nicht der Touristenhotspott schlechthin, an dem wir sicher weit mehr Menschen begegnen werden, als es uns im Normalfall lieb ist. Aber schließlich sind wir auch "welche von denen", die diesen Punkt, und sei es auch nur einmal im Leben, mal aus der Nähe sehen wollen.
Wir fahren den vorletzten Campingplatz an und erwischen einen der letzten freien Plätze.
Ein weiteres Mal sind wir der einzige bunte Farbfleck unter den vielen anderen gleichmäßig weiß gestrichenen "Touribussen". Trotzdem funktioniert die Tarnung einwandfrei. Vielleicht ist das Rot unseres Fahrerhauses etwas kontraproduktiv aber der Wohnkoffer verschwindet perfekt in der Landschaft.
Wieder haben wir eine Badestelle unmittelbar vor der Nase.
Und was tun wir? Wir gehen nicht rein.
Zu feige!
Schade.
Sonntag, der 26. Mai 2024
Nach kurzer Gassirunde und einem gemütlichen Frühstück geht es auf zur letzten Etappe vor dem Kap. Der Campingplatz leert sich zusehends. Vermutlich alles Kandidaten, die wir in den nächsten zwei Tagen nochmal wiedersehen werden.
Doch noch gehts es unvermutet einsam nochmal über kleinere Hochpässe und wir finden mit der Seidi-Quelle "The best Drinkingwater on Earth". Irgend jemand hat an einem spektakulär angelegten Parkplatz dieses sehr rustikale Schild aufgestellt.
Wir glauben die Qualitätsangabe und holen uns in einem unserer Trinkwasserkanister (wir haben nur einen) das Kaffeewasser für die nächsten Tage.
Auch Odin kann offenbar lesen und hat das glockenklare Wasser prompt getestet.
Er war zufrieden.